Umzug in drei Akten - Eine Baustellen-Oper
Ein Film von Anne Osterloh

„Die Seele bleibt“, sagt Rolando Villazon (Tenor) im Juni 2017. Mit einem blauen Bauhelm auf dem Kopf, stapft er lachend über die fast vollendete Baustelle der Staatsoper Unter den Linden. Er betritt den Bühnenraum, schmettert eine erste Arie und testet auf diese Weise den Klang im frisch sanierten Gebäude. Er ist zufrieden und lacht: „Ich laufe hier immer vorbei und denke wann, wann, wann, wird hier endlich eröffnet!“

„So unter uns sagen wir schon: Konnte der Umzug nicht fünf Jahre später kommen, dass es uns nicht mehr betrifft.“ Albrecht Krieger, Leiter der Tontechnik in der Berliner Staatsoper Unter den Linden, spricht den meisten seiner Kolleginnen und Kollegen aus der Seele. Sie alle müssen ihren Arbeitsplatz verlassen, raus aus der Alten Oper. Sie wird entkernt bis auf die Mauern, sie muss saniert werden. Weitergespielt wird im Schillertheater. Nach drei Jahren soll das Haus in neuem Glanz erstrahlen. „Wenn das Schillertheater nicht gewesen wäre, hätten wir in Südamerika, im Dschungel eine Oper eröffnet“, erklärt Intendant Jürgen Flimm. 

Doch aus den drei sind sieben Jahre geworden. In der traditionsreichen Geschichte des Hauses sicherlich nur ein Wimpernschlag, für die Opernfamilie eine lange Leidenszeit.

„Wir haben es nicht geschätzt, immer wieder eine andere Geschichte zu hören,“ betont Generalmusikdirektor Daniel Barenboim kurz vor dem erlösenden Einzug.

Am 3. Oktober 2017 wird nun das Opernhaus feierlich wiedereröffnet. 

Über diese Zeit hinweg hat die Regisseurin und Autorin Anne Osterloh für ihren Dokumentarfilm „Umzug in drei Akten - Eine Baustellen-Oper“ mit den Stuttgarter Filmemachern von moving angel, Birgit Baumgärtner und Jean Christophe Blavier, das Gebäude, die Sanierung und vor allem die Menschen, die dort arbeiten, begleitet. Und manche von ihnen kehren zur Wiedereröffnung nicht mehr zurück, sind in Rente oder bereits gestorben.

Im Jahr 2010 vor dem Auszug ahnen bereits einige, dass es so kommen könnte. Schwer fallen Krieger und seinen Kollegen der Abschied von dem legendären Haus, auf dessen Bühne die größten internationalen Stars singen und tanzen, während hinter den Kulissen morbider Charme und Enge vorherrschen – samt betagter Pausenklingel, die einzigartig auf der Welt ist. Oder war: Nun soll die Staatsoper eine der modernsten überhaupt sein.

Inspizient, Ankleiderin, Schneiderin oder Bühnenreiniger und all die anderen liebten den Bau indes auch „abgewohnt und abgearbeitet“ – war er doch weit mehr als ein Arbeitsplatz: Leidenschaft, Leben, Heimat. Fast alle sind Ostdeutsche, arbeiten zum Teil schon 50 Jahre in dem Opernhaus, das vor 275 Jahren als erstes Opernhaus der Stadt vom Preußischen Königs Friedrich II eröffnet wurde, später der Stolz der DDR war, Brände und Zerstörungen, Intendantenwechsel, Regierungswechsel, Bau und Fall der Mauer erlebte. Wie die meisten der Mitarbeiter.

Es sind denn auch die Geschichten und Gefühle der Menschen, die Anne Osterloh interessiert – eingefangen in atmosphärisch dichten Bildern von Jean Christophe Blavier. Die Kamera blickt in die betagten Büros der Protagonisten, lässt sich in die Kantine führen, das Lager oder die Technik, hört sich Anekdoten an von nächtelangen Feiern, abgehörten Politikern  – so wurden Mikrofone hinter Vertäfelungen gefunden –, Überschwemmungen, besucht mit ihnen wehmütig die Baustelle. Beeindruckend, wie Editor Peter Klum diese persönlichen Erzählungen kontrastiert mit den fortschreitenden Bauarbeiten und dem Bühnengeschehen. Hier der Abbruchhammer und der Kran, da „La Bohème“, „Onegin“, „Königin der Nacht“. Hier Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, die Sopranistin Anna Prohaska, die Tenöre Placido Domingo und Ronaldo Villazón, Intendant Jürgen Flimm, der designierte Intendant Matthias Schulz – da Requisiteure, Bühnenmeister, Transporteure. Sie alle kommen zu Wort, sie alle eint die Liebe zu  Architektur, Musik, Tanz, Spiel.

Und so gibt der Film der Seele des Hauses ein Gesicht: den Menschen, die es am Laufen halten. „Ich bereue nichts“, betont Transporteur Klaus Schüning, während Flimm von den tollen Assistenten schwärmt, die schon morgens neben „dir sitzen: „Mozart, Verdi ...“. Inspizientin Ingrid Jaroszewski bringt es direkter auf den Punkt: „Ich kriege jeden Abend hohe Kunst geboten, das ist der Kick!“